Autor: Stefan Tilgner

Noch hält die Corona-Pandemie das Land fest im Griff. Schaut man jedoch in andere Länder, wird deutlich: Das deutsche Gesundheitssystem meistert die Krise besser als die meisten anderen. Einig sind sich dennoch alle Experten: Nach Corona wird es niemals wieder wie vor Corona sein. Wenige Monate haben den Umgang mit dem Basisgut Gesundheit verändert.

Mit dem hoffentlich nicht nur vorläufigen Abklingen der Krise sind auch die offenen Fragen der Versorgung zu klären, die die Phase des ersten „Lockdowns“ aufgeworfen hat. Mediziner und Pflegekräfte haben Großes geleistet. Doch während Krankenhäuser für potentielle Corona-Patienten freigehalten wurden, Arztpraxen zeitweise nur Notfallpatienten versorgten, sanken die Patientenzahlen selbst bei bedrohlichen Erkrankungen. 31 Prozent weniger Versicherte als sonst mit Herzinfarkt-Behandlungen, 18 Prozent weniger mit Schlaganfall und Hirnblutungsproblemen und sogar
20 Prozent weniger Krebsoperationen.

Noch ist die Pandemie nicht beendet. Aber gerade, weil nach Corona die vermeintlich Vor-Corona-Normalität wohl nie wieder einkehren wird, liegt es in der Verantwortung von Politik und Akteuren
des Gesundheitswesens, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die zumindest partielle Hilf- und Ratlosigkeit zu Beginn der Pandemie künftig verhindern. Klar ist: Das kann nicht auf dem Rücken der Mediziner – ob stationär oder ambulant – geschehen, sondern ist eine gesamtgesellschaftliche Präventionsaufgabe.

Was nicht passieren darf, ist die Leistung der vertrags- und privatärztlichen Praxen zu verkennen. Die Hilfe bei Verdienstausfällen wurde – man erinnere sich – nur halbherzig für den vertragsärztlichen
Bereich gewährt. Im Grunde musste jeder freiberuflich tätige Arzt in Niederlassung selbst schauen, wie er durch die Krise kommt. Wann, wenn nicht jetzt, wäre der richtige Zeitpunkt, um daran zu arbeiten, das System sattelfest zu machen? Deutschlands Gesundheitssystem hat Handlungsfähigkeit bewiesen. Das liegt aber gewiss nicht vorwiegend an einem guten Management, sondern am Engagement tausender Ärzte und Heilberufler.

Gerade deshalb muss man nun genau hinhören, wenn diese eindringlich darauf aufmerksam machen, dass viele der Patienten – insbesondere Chroniker – in der Corona-Krise nicht optimal versorgt werden konnten. Aus diesem Grund ist nun die Stunde, die Erfahrungen der ambulant tätigen Mediziner und ihrer Praxen zum Anlass zu nehmen, die Versorgung für eine hoffentlich nicht kommende neue Lockdown-Welle zu optimieren.

Die Beschaffung geeigneter Sicherheitsausrüstung ist eine Sache, die die Politik am Ende irgendwie gelöst hat. Eine völlig andere Sache ist es aber, alle Patienten auch in Zukunft adäquat versorgen zu
können, selbst in Zeiten einer globalen Pandemie. Das ist nicht zum Nulltarif zu haben. Die Milliarden an Euro, die die Politik nun zu Lasten künftiger Generationen aktiviert hat, werden nicht immer wieder aufs Neue zur Verfügung stehen. Im Gegenteil: Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden härter, die demographischen Herausforderungen werden in nicht ferner Zukunft unweigerlich und mit voller Wucht die Umlagesysteme ermatten lassen.

Daher muss im Rückblick Corona die Zäsur markieren, ab der ein ehrlicher Diskurs über die Frage begonnen wurde, was an Gesundheitsleistungen auch in Zukunft gemeinsam und solidarisch abgedeckt sein kann und darf und was nicht. Es gibt für die Politik keinen Grund, den Mut dazu nicht aufzubringen. Denn die Bürger haben in der Corona-Pandemie bislang eindrucksvoll gezeigt, dass
ihnen ihre Gesundheit viel wert ist.